
Die Brotfabrik Dehne in Bündheim
Rudolf Dehne, ein Pionier der Verpackungstechnik in der Nachkriegszeit

Die Anfänge der Brotfabrikation in der Firma von Rudolf Dehne liegen in der elterlichen Bäckerei an der damaligen Prinz- Albrecht-Straße 31 in Bündheim. Diesen Betrieb gab es dort schon lange Jahre. Bäckermeister Rudolf Dehne, geboren im Jahr 1916, übernahm das Geschäft als junger Mann um 1940 von seinem Vater Hermann.
Dehnes Spezialität wurde die Herstellung von Harzer Pumpernickel. Wie allgemein bekannt, kam Pumpernickel als lange haltbares Vollkornbrot aus Roggenschrot ursprünglich aus der westfälischen Küche stammt.
Hauptabnehmer für das kräftige Brot aus Dehnes Backstube waren die verschiedenen Lazarettabteilungen in Hotels und Pensionen, die es von 1942 bis 1945 in Bad Harzburg gab. Erst nach Ende des Krieges normalisierte sich das Geschäft wieder, kehrte langsam und ganz allmählich wieder der Bächer-Alltag ein.
Lebensmittel gab es einige Jahre nur auf Marken, darunter auch für Brot und Backwaren. In jener Zeit kam Rudolf Dehne die Idee, zwecks Belebung seines Geschäftes, für den Harzer Pumpernickel und anderes Brot ein Verfahren zu finden, um die Backwaren versenden und exportieren könnte.
Angeregt haben dürften den Bündheimer die Lebensmittelpakete der amerikanischen und englischen Besatzer, in denen auch Lebensmittel mit längerer Haltbarkeit enthalten waren. Für Rudolf Dehne begann eine lange Zeit des Experimentierens und der Tüftelei.
Die Schwierigkeit lag aber nicht in der Brotherstellung selbst. Wenn man das Endprodukt in absehbarer Zeit verzehrte, war alles in Ordnung. Doch nach längerer Lagerung wurde das Brot anfällig. Der ärgste Feind war auf Grund der hohen Feuchtigkeit der immer wiederkehrende Schimmelpilz.

So passierte es viele Male, dass versandte Ware vom Kunden wieder zurückkam. Für das Geschäft waren solche Vorfälle natürlich nicht von Vorteil, schädigten eher den Ruf. Was heikel war, denn in Bündheim gab es noch fünf weitere Bäckereien und somit reichlich Konkurrenz. Aber Rudolf Dehne ließ sich nicht entmutigen und versuchte es zunächst mit der Chemie, dem Schimmelpilz zu Leibe zu rücken.
Dabei kam dem Bäcker zugute, dass die Firma Dehne mit dem täglichen Ladengeschäft und mit einigen kleinen Filialen noch weitere Einnahmequellen hatte. Zusätzlich gab es neben der Bäckerei als Mieter noch den Schuhmacher Hermann Lutz, der ein kleines Geschäft betrieb und Miete zahlte.
Anfang der fünfziger Jahre waren einige Schimmelpilz – Bekämpfungsmittel auf dem Markt, die nicht den Geschmack beeinflussten. Mit diesen Mitteln startete Rudolf Dehne seiner ersten Experimente. Doch wie sich mit der Zeit herausstellte, halfen diese Zusätze nur bedingt und waren für längere Lagerdauer nicht zu gebrauchen.
Dehne startete neue Versuche mit Metallfolien, die das Brot fest umschlossen. Nun war die Ware zwar steril verpackt, aber immer noch kam zu viel Luft an das Brot heran. Und somit kehrte auch der Schimmelpilz zurück.
Im Jahr 1953 machte Rudolf Dehne Bekanntschaft mit einer neuartigen Kunststoffart: Polyethylen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er über Jahre hinweg schon viel Geld und Zeit investiert. Doch der Bäckermeister hatte standhaften Unternehmergeist und war immer noch jung genug, um sein Projekt erfolgreich durchzuführen.
Er ließ sich spezielle Hüllen aus Polyethylen anfertigen und hatte nun die passende Verpackung für seine Ware. Ein Problem aber blieb: Wie bekam man die Hülle luftdicht und das Brot steril?

Bei ersten Versuchen wurde das Brot in die Hülle gesteckt, luftdicht verschlossen und alles auf rund 90 Grad erhitzt. Diese hohe Temperatur brauchte man, um den Schimmelpilz abzutöten. Denn nur bei Temperaturen über 81 Grad wurde der Schimmelpilz ungefährlich.
Diese Methode war jedoch riskant, weil bei annähernd 100 Grad auch die Kunststoffhüllen ihren Schmelzpunkt hatten. Also wurde nun ein genau arbeitendes Thermostat konstruiert, doch auch hier gab es neue Schwierigkeiten.
In den Beuteln war nicht nur das Brot, sondern auch immer noch etwas Luft. Beim Hochfahren der Sterilisationshitze dehnte sich die Luft aus und die meisten Beutel zerplatzten. Aber Bäckermeister Dehne ließ sich nicht entmutigen, tüftelte unermüdlich weiter.
Nach einiger Zeit und neuen Versuchen wusste er, wie man die störende Luft aus der Verpackung herausbekam. Er besorgte einen Vakuum-Kessel, einen dünnen Schlauch sowie eine kleine Injektionsnadel. Durch deren winzigen Einstich entwich die Luft aus der Verpackung und das kleine Loch ließ sich schnell wieder verschweißen.
Nun war das Hauptproblem gelöst, es musste nur noch verbessert werden, man konnte ja nicht jeden Beutel einzeln mit der Injektionsnadel behandeln. Nach den Ideen und Angaben von Rudolf Dehne, konstruierte der Bad Gandersheimer Ingenieur Aug. Schwarzkopf einen Apparat, der Vakuum erzeugte. Zusätzlich war das Gerät in der Lage, durch elektrisch erzeugte Hitze bis um 120° Grad die nun luftleeren Verpackungshüllen zu verschweißen.
Inzwischen schrieb man das Jahr 1954. Investitionen in Geräte und Maschinen beliefen sich bis dahin auf rund 70.000 DM. Die neuen Apparaturen schafften einige hundert Beutel in der Stunde. Der Übergang vom kleinen Familienbetrieb hin zur Brotfabrik war fast geschafft.
Hieß es in älteren Anzeigen noch Brot- und Pumpernickel Export Rudolf Dehne, so nannte man sich zukünftig Delbro-Brotfabrik Rudolf Dehne. Beschäftigt wurden auch mehrere Vertreter. Die Brotmassen, die jetzt hergestellt werden konnten, mussten ja den Weg zum Verbraucher finden.
Abnehmer waren unter anderem Großversandhäuser wie Neckermann und Quelle sowie einige Einzelhandelsgeschäfte in der näheren Umgebung. Da mehr Platz benötigt wurde, baute Firma Dehne hinter der alten Bäckerei eine erste kleine Halle.
Mitte der fünfziger Jahre begann der Aufbau der Bundeswehr. Firma Dehne schaffte es in jener Zeit, diese Institution als Großkunden zu gewinnen. Geliefert wurde zuerst das vakuumverpackte und verschweißte Brot. Später dann rundes Brot, verpackt in 400-Gramm-Dosen.
Das Dosenbrot wurde ebenfalls in einem ähnlichen Verfahren für längere Lagerung haltbar gemacht. Für das keksähnlich verschweißte Brot gab es in der Anfangsphase eine Haltbarkeitsgarantie von zwei Jahren. Durch verfeinerte Herstellungsmethoden in der Nachfolgezeit konnte diese jedoch wesentlich erhöht werden.
Als das Geschäft mit der Bundeswehr voll anlief, bauten die beiden Betriebsschlosser Alfred Kretschmar und Werner Hundertmark neue Verpackungsgeräte, die noch mehr Herstellungskapazität erreichten.

Der Betrieb platzte jetzt aus allen Nähten, es wurde an die vorhandene Fabrikationshalle ein langes weiteres Gebäude errichtet. Zusätzlich erbaute die Firma Dehne noch weitere Fabrikationsstätten. So beispielsweise in Langelsheim im Ortsteil Bredelem auf dem alten Gelände der Palandsmühle. Hier wurden in den sechziger Jahren mit noch moderneren Maschinen rund 30.000 Dosen Brot am Tag produziert. Zusätzlich gab es in Hameln eine Produktionsstätte in alten Anlagen eines ehemaligen Mitbewerbers.
Getreidelieferant war zum größten Teil die Gifhorner Mühle. Es konnte in drei Schichten gearbeitet werden, wobei in Hauptlieferzeiten auch Nacht- und Wochenendschichten an der Tagesordnung waren. In den ersten Jahren der Brotfabrikation waren es neben fest angestellten Bäckern viele Hausfrauen aus der näheren Umgebung, die mit einem kleinen Zubrot die Haushaltskasse aufbesserten.
Damals waren die Löhne nicht so üppig und so gab es für Sonderschichten auch schon mal ein Schwein zur Belohnung. Gehalten wurden etliche Tiere hinter der Backhalle und die reichliche Nahrung bestand aus den anfallenden Brot- und Backabfällen.
Zunehmend setzte Firma Dehne in den sechziger Jahren Gastarbeiter ein, die vermehrt nach Deutschland kamen. Die meisten stammten aus Griechenland und der Türkei. Untergebracht waren sie in zwei Gebäuden an der Bäcker- und der Dr.-Heinrich-Jasper-Straße. In einem der Gebäude befand sich in früheren Jahren eine Filiale der Bäckerei Dehne. Diese und andere kleine Ladengeschäfte gab es jetzt nicht mehr, es wurde nur noch Fabrikware hergestellt.
Mitte der sechziger Jahre erwarb Rudolf Dehne das Hotel Lindenhof am Bahnhof von Familie Overbeck und brachte dort ebenfalls Gastarbeiter unter. Beschäftigt waren in allen Betrieben, je nach Auftragslage und Lieferumfang, bis zu 200 Personen.
Da es im Lauf der Jahre viele Interessenten und Nachahmer von Rudolf Dehnes Vakuumverpackung gab, hatte er sich dieses Verfahren inzwischen patentieren lassen. So besaß er Patente in den USA, Italien, Niederlande, Frankreich, Schweden, Österreich und der Schweiz.
In der Schweiz übernahm unter anderem das Bundesheer Rudolf Dehnes Patent zur Brotherstellung. Bezeichnenderweise gab es für die Bundesrepublik kein Patent. Dafür war Rudolf Dehnes Verfahren zur Brotherstellung im Gebrauchsmusterschutzverzeichnis für Westdeutschland unter der Nr.: 1653349 eingetragen.
Ende der sechziger Jahre gab es dann erste Querelen mit der Bundeswehr. Mal ging es um angebliche Qualitätsmängel der gelieferten Ware. Dann um Zahlungsverzug der versandten Produkte. Angesichts des hohen Auftragsvolumens und den daraus resultierenden Kosten, gab es nachfolgend beträchtliche Schwierigkeiten, die Firma über Wasser zu halten. So kam es, dass am 20. Juli 1972 die Firma von Rudi Dehne schließlich gänzlich ihre Pforten schloss.

Danach gab es noch einige Jahre rechtliche Unstimmigkeiten mit der Bundeswehr. Familie Dehne zog von Bündheim nach Vienenburg und übersiedelte dann nach Lindau am Bodensee. Hier verstarb Rudi Dehne im Jahr 1991. Ohne Frage ein Nachkriegspionier der Verpackungstechnik, wenn es darum ging, Lebensmittel länger haltbar zu machen und zu lagern.
Die Hallen in Bündheim standen nun einige Jahre leer. Bis von 1983 bis 2004 das alteingesessene Bündheimer Möbelhaus Krebs die Gebäude übernahm. Danach folgte ein Billig-Discounter und ein Fachmarkt für Tiernahrung samt Zubehör. An der einstigen Fertigungsstätte in Bredelem gab es lange Zeit die Firma Kalesse, ein Unternehmen, das sich mit dem Handel von Tiefkühlkost befasste.
Einige der letzten Erinnerungen an die Delbro-Brotfabrik in Bündheim sind seit 2002 im Deutschen Brotmuseum in Ebergötzen zu sehen. Es handelt sich dabei um einige Pakete Pumpernickel und einen Original-Karton Dosenbrot. Gefunden hatte sie ein Privatmann in Osterholz-Scharmbeck – das Brot war sogar nach rund 50 Jahren überwiegend noch genießbar…
Der Beitrag stammt aus dem Jahr 2004
Mehr Fotos zu dem Thema sind unter Harz-History zu finden

